Else Panneks Website Narzissenleuchten.de
Kartenhaus Wie lässt sich eine Limonade, die süß, klebrig und nicht wohlschmeckender ist als viele andere, anpreisen als das von Durstigen geradezu ersehnte Getränk? Was kann Schmantke's neue Limonade so verlockend machen, dass man durstig wird, nur um sie zu trinken? Die zündende Idee, etwas noch nie Dagewesenes, war noch nicht da. Rea überlegte und verwarf. Das Telefon klingelte. Endlich eine Ablenkung! Hans-Dieters Stimme klang aufgebracht: "Ja, ich bin's. Stell dir vor, ich soll entlassen werden! Mein Posten wird wegrationalisiert. Einfach so. Das können die mit mir nicht machen! Der Laden läuft dann auch nicht mehr. Ich gehe jetzt zum Chef und werde mit ihm über die einzig richtige und gewinnbringende Umorganisation seiner Firma sprechen, du weißt ja wie, ich habe es dir oft erklärt." Jetzt hatte die Stimme wieder den alten Klang: bestimmt, überlegen, ohne jeden Selbstzweifel. "Also, Rehchen, reg' dich nicht auf, das kriege ich schon hin! Ich rufe später wieder an." "Ja, Schatz, lass von dir hören, wenn du vom Chef zurück bist. Ich drücke dir die Daumen! Tschüß, bis bald." Rea wunderte sich über seinen Optimismus. Gewiss, Hans-Dieter wusste alles, konnte alles, war einfach überragend. Aber so hochqualifizierte Kräfte konnten auch ertlassen werden. Warum schloss er diese Möglichkeit aus? Wie einfach war es doch, nur über Schmandtke's Limonade nachzudenken! Nüchtern überlegte Rea, welche Ausgaben sie kürzen oder streichen mussten, um über längere Zeit mit geringerem Einkommen zu leben. Ihr Erspartes, viel war es nicht mehr, sollte Reserve für den Notfall sein. Rea öffnete das Fenster, ging zurück an den Schreibtisch
und Sah auf ihre Notizern wie damals auf die Bücher und Kataloge. Sie besuchten Konzerte, machten Ausflüge, gingen tanzen. Hans-Dieter führte sicher über die Tanzfläche, durch Menschenansammlungen, durch die Steuererklärung. Bei niemandem bisher hatte sie so vollkommen das Gefühl der Sicherheit haben können. Er fand eine wunderschöne Wohnung. Sie wandte ein, die Miete sei zu hoch. Aber seine übersichtliche Kalkulation belehrte sie vom Gegenteil. Das Leben war voller Abwechslung und herrlich unbeschwert. Sie standen am Tisch vor dem Küchenfenster, als er von dem Haus erzählte. Seine Begeisterung übertrug sich auf die Art, wie er den Kuchen rührte. Reas Küchenmesser fiel in die Kartoffelschalen. Die Wohnung war eingerichtet, alles hatte seinen Platz und sie fühlte sich heimisch. Die trauliche Atmosphäre des Hauses nahm Rea gefangen, fast gegen ihren Willen. Der Vertrag lief über Jahre, und sie konnten es sich leisten, das Haus zu mieten. Hans-Dieter plante, kalkulierte, überzeugte. Sie kauften passende Lampen und Vorhänge, verlegten den neuen Teppichboden und entdeckten die schönsten Gartenmöbel. Nach der Einweihungsfeier säuberte Rea das Haus, summte einen Schlager und dachte nach. Hatte sie sich geirrt oder erklärte Hans-Dieter gestern tatsächlich einem Gast, dass man dem Onkelchen die Leber entfernen musste? Onkelchen wurde eine Niere entfernt. Ohne Leber,... das weiß jeder! Merkwürdig, es klang wie immer: bestimmt und überzeugend. Hans-Dieter glaubte, was er sagte! Als der Staubsauger streikte, eine Reparatur nicht lohnte, war Ebbe in der Kasse. Unvorhergesehene Ausgaben waren nicht vorgesehen. Rea war überrascht und sprachlos, Hans-Dieter lautstark ratlos. Rea räumte den Schreibtisch auf, schloss das Fenster und fuhr nach Hause. Hans-Dieter hatte nicht wieder angerufen. Der Arme! Hoffentlich fand sie tröstliche Worte! Auf dem Esstisch lagen Landkarten, Prospekte, Notizen. Hans-Dieter, 1,92 Meter groß und breit wie ein Kleiderschrank, spielte mit Plänen. "Und wovon bezahlen wir die Reise?" fragte Rea erschrocken. "Ach, das nimmst du erstmal von deinem Sparbuch." Rea suchte Halt und fand sich. "Du irrst dich! Du irrst dich ganz gewaltig!" 1.9.1985
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