Else Panneks Website Narzissenleuchten.de

 

 

 

Eine Sehenswürdigkeit


Seine Grundsteinlegung, sein sichtbares Heranwachsen bis zur vollen Größe von 204 Metern, die er im Jahre 1968 erreichte, wurde von vielen neugierig, interessiert und wohlwollend beobachtet.

Der Standort dieser alles überragenden Größe ist die Ecke Rentzelstraße / Lagerstraße. Dort errichtete die Deutsche Bundespost den Hamburger Fernsehturm.

Die Arbeiten wurden auf einer runden, hölzernen Plattform ausgeführt Sie entfernte sich mit dem Wachsen des Turmes von der Erde. So manches Mal fuhr ich, ein leichtes Prickeln im Nacken, unter der schwebenden Plattform hindurch.

Ein richtiges Abenteuer war das gelungene Heraufhieven der am Erdboden gefertigtem Betonschalen für die Kanzel und Restaurants. Millimeterarbeit im Zeitlupentempo bei mehreren Windstärken.

Offiziell erhielt der Fernsehturm seinen Namen nach dem in Hamburg geborenen Physiker Heinrich Hertz. Seine Versuche waren grundlegend für die Radiotechnik.

Während die Berliner mit Gefühl und Treffsicherheit Namen wie "Schwangere Auster" oder "Langer Lulatsch" für die Bauten ihrer Stadt fanden, brachten es die Hamburger nur zu einem nordisch unterkühlten "Telemichel". Der Turm trägt's gelassen.

Leuchtend hellgrau zeichnet er sich vom blauen Himmel ab. Eine Schönheit von ausgewogener Eleganz. In 128 bis 132 Metern luftiger Höhe ragen Betonplattformen in den Himmel wie drei übereinanderliegende Scheiben, filigranverbunden durch zwei Fensterreihen. Hinter der unteren befindet sich die Aussichtsplattform und eine Selbstbedienungsgaststätte, hinter der oberen das "Skyline-Turm-Restaurant". Es dreht sich in einer Stunde einmal um 360 Grad. Nur die auf dem breiten Fenstersims abgestellten Handtaschen wandern nicht mit.

Der Schnellaufzug braucht bis hinauf knapp eine halbe Minute, der Magen etwas länger.
In dem vollbesetzten Restaurant suchen zwei Damen und ein junges Paar vergebens nach einem freien Tisch. Sie wollen Geburtstag feiern und die Aussicht auf Hamburg, auf eine mit Segeln betupfte Alster, den Hafen und die Elbe genießen. — Enttäuschte Gesichter. Sie fahren zur Selbstbedienungsgaststätte hinunter. Schade! Geburtstag ganz einfach.

Die junge Frau eilt zu einem Fernrohr: "Ronald, hast du einen Groschen?" "Ja, mein Schatz." Der junge Mann holt Kleingeld hervor und setzt das Fernrohr in Betrieb. Begeisterungsrufe, so blank wie die neuen Trauringe der beiden. Sie schaut durch jedes Fernrohr, mitreißend aufgeregt wie ein kleines Kind. Er schmunzelt und füttert die Fernrohre mit Kleingeld aus seiner Jackentasche. Er genießt den Anblick seiner Frau und den Ausblick auf Hamburg. "Guck mal, Renate, da ist noch ein Fernrohr!"

Die Damen segeln auf einer Welle von Rührung hinterdrein, holen Kaffee und Kuchen. — Geburtstag einmal ganz anders.

Ungefähr 18 Meter höher trägt der schlanker gewordene Fernsehturm die Betriebskanzel der Deutschen Bundespost. — Kein Zutritt für Unbefugte. — Neugier befugt nicht. So geht die Phantasie spazieren. Durch unbekannte technische Einrichtungen, hinauf zu sechs höherliegenden kleinen Plattformen, durch die Richtfunkantennen auf ichweißnichtwieviel Kilo Her(t)z hinaus.

Oft sehe ich vom Bus aus auf den Fernsehturm. — Tageszeiten und Wetter wandeln seinen Anblick. — Nachmittagssonne lässt die Fenster weithin leuchten, dunkelviolette Gewitterwolken unterstreichen die Helle des Betons und die Eleganz der Linie. Im abendlichen Dunkel leuchten Reihen roter und weißer Positionslichter und die Fenster der Restaurants.

Wenn Nebel Restaurants, Kanzel und alle Positionslichter einpackt, kommt der Gedanke an ein vom Kurs abgekommenes Flugzeug und einen im Wege stehenden Turm. "Das kann nicht passieren," sagte mal ein Schelm in sachlichem Ton, "bei Nebel wird der Fernsehturm eingezogen."

Gegen Mitternacht setzt das Flugzeug über Hamburg zur Landung an. Die Lichter des Fernsehturms sind als erstes auszumachen, dann der Dammtor-Bahnhof. Meine Augen folgen der Lichterkette Edmund-Siemers-Allee, Grindelallee, Grindelberg, Hoheluftchaussee, und dort etwa muss der Eppendorfer Weg, dort meine Wohnung sein. Ich fühle mich zuhause, bevor ich angekommen bin.


1985