Else Panneks Website Narzissenleuchten.de

 

 

 

Zu Beginn sei gesagt: die Bronzeplastik stellt Wildgänse dar. — Schwäne waren es in meiner Phantasie. Und daran ließ sich nichts ändern.


Wilde Schwäne


Ein Schwanenpaar ließ sich auf dem Rasen zwischen den Grindelhochhäusern nieder.

Fest stehen die gespreizten Füße auf der Erde. Sicher tragen kurze, stämmige Beine kräftige Körper. Anrührend vermittelt der gebogene Hals des Weibchens die Anmut, die von Schwänen ausgeht.
Der Schwan steht aufrecht mit gerecktem Hals und ausgebreiteten Flügeln. Kraft strahlen Körper und Hals aus, Leichtigkeit die Flügel. Ihr bronzener Umriss umgibt Luft, zeichnet sie in die Luft.
Schöpfer dieser 1956 entstandenen, ungefähr 2 Meter 50 hohen Bronzeplastik ist der hamburger Bildhauer Karl-August Ohrt. Er feierte vor kurzem (das war 1987) seinen 85sten Geburtstag. Und von ihm gibt es in unserer Stadt noch mehrere Werke.

Hoch aufgereckt hält der Schwan Ausschau. Das Weibchen, den Hals anmutig gebogen, steckt den Schnabel ins Gefieder. "Du putzt dich, meine Liebe? — Dein Gefieder ist schön wie die Sehnsucht nach unserer Sommerheimat. Es hat etwas von den Sternen, unter denen wir von ihr träumen. Und etwas von dem Sonnenaufgang, wie wir ihn dort sehen. — Du putzt dich noch immer? — Ach, ich weiß, du bist verlegen, weil ich von einem warmen Nest sprach."

"Nun, nicht direkt verlegen, aber es berührt mich doch. — Nein, ich bin gerührt." Sie hörte auf sich zu putzen. "Weißt du, mein Lieber, ein warmes Nest für unsere Kleinen, es ist gerade das, woran auch ich dachte. —
Doch ich kann dir nicht erklären, nicht sagen warum, aber ich glaube, ich bin beunruhigt. Es ist so kalt — so unheimelig — es ist nicht zu greifen, nicht zu begreifen, es ist wie kriechend und schleichend. —
Erinnerst du dich, wie unsere Eltern und die Voreltern von der Sommerheimat sprachen? Sie sprachen von ihr wie von einem Paradies."

"O ja", sagte er, "ihre Worte leben so in mir, dass ich es sehe. Ich sehe Grün. — Grüne Wälder, grüne, saftige Wiesen, grünumrandete Wasser, grüne Felder. Und die umfriedet von grünen Hecken. Und in den Hecken singt, flattert und zwitschert es prallvergnügt von Leben.
Ja, die Sommerheimat unserer Voreltern war ein Paradies." "Und dies hier", sagte sie, "wo wir jetzt sind, war das Paradies. — Aber wie hat es sich verändert. — Auf dem Flug hierher vernahm ich Dinge, die ich nie zuvor sah und hörte, von denen niemand je berichtete.
Ich sah wenige saftige, nahrungsspendende Wiesen — ich sah wenige Hecken und die nicht voll von Leben. Ich sah harte Bänder monotones Land zerschneiden, wenig Schutz und wenig Nahrung. — Und ich hörte von einer Giftzeit. — Ich hörte den Fluss klagen, in dem die toten Fische schwammen. Ich hörte die Greife beten um harte Schalen, ihre Jungen bis zum Schlüpfen zu beherbergen. Ich hörte Singvögel flehen um einen verborgenen Platz für ihr Nest und um Nahrung für ihre Kleinen. — Ach, mein Lieber, von diesen Dingen sprach keiner unserer Voreltern. — Ob ihr Paradies nicht doch woanders ist? Ob wir nach ihm suchen? Unsere Kleinen sollen es doch gut haben."

"Ich fürchte, wir werden es nicht finden. Und wenn wir noch so sehr danach suchen. Es ist, wie du vorhin sagtest: dies ist die Sommerheimat unserer Voreltern, ihr Paradies."
Sie knabberte am Gefieder seines Kopfes, legte ihren Hals an seinen und blickte zu Boden.
"Du bist verzagt? — Ich weiß, ich bin es auch. — Komm, meine Liebe, lass uns mit wachen Augen sehen und lass uns abgeben von unserer Wärme. — Ich weiß nicht, ob das etwas ändert. — Aber es ist das Einzige, was wir tun können."


24. 3. 1987